Deutsche hamstern Kondome? Eher nicht.

„Deutsche hamstern Kondome!“ hieß es gestern bei „deinUpdate.de“, siehe Screenshot (Archiv):

Was natürlich weder durch die verlinkte Pressemitteilung noch durch Tatsachen belegt ist. Zitiert wird eine Pressemitteilung (Archiv) von Ritex, in der Geschäftsführer Robert Richter eine gestiegene Nachfrage nach Kondomen feststellt. „Wir sehen hier sicherlich Vorratskäufe“, wird er dort zitiert – allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit (sage ich) weniger durch die Endanwender, sondern eher durch Händler, die ihre Lager aufstocken. Das allerdings nicht wegen eines gestiegenen Bedürfnisses nach Zweisamkeit unter Quarantäne, denn auch unter Nicht-Quarantäne-Bedingungen ist man üblicherweise über Nacht zu Hause, und die Chance auf eine schnelle Nummer tagsüber wird – wegen der ständigen Anwesenheit der Kinder – eher geringer ausfallen. Nein, vielmehr stocken die Händler ihre Lager auf, um Nachschubproblemen auszuweichen, die durch Ausfälle in der gesamten Lieferkette entstehen könnten: von Produktionsstopps bei Rohlatex-Lieferanten (wie derzeit in Malaysia, wo seit gestern viele Betriebe mindestens bis 31.3. stillstehen) bis hin zu ausgedünnten Personaldecken bei den Transportunternehmen.
Die Nachfrage durch Konsumenten ist dagegen im Rahmen der jahreszeitlichen Schwankungen („Frühlingsgefühle!“) normal – kein Supermarkt, keine Drogerie meldet leere Regalfächer bei Kondomen, und auch der Onlinehandel läuft durchgehend normal und frei von Störungen oder übergroßer Nachfrage. Schließlich reicht eine Packung Kondome bei den allermeisten Anwendern ja auch wesentlich länger als eine Packung Toilettenpapier 🙂

Innovationen? Aber nicht doch.

Das Thema „Kondominnovationen“ ist ausgezeichnet dafür geeignet, Leute ins Rotieren zu bringen: Die einen, weil sie vor Kreativitätsschüben überhaupt nicht mehr auf dem Planeten Erde weilen, die anderen, weil sie vor lauter Argumenten dagegen überhaupt keine Luft mehr bekommen.

So liest man es heute auf der Facebook-Seite von Ritex – das ist so der richtige Troll-Post, um mich an den Rechner zu quälen und mal wieder ins Ritex-Blog zu schauen.
Der andere Robert (also Robert Richter von Ritex) hat also mal wieder kolumniert und stellt im wesentlichen fest (Achtung: Spoilerwarnung!), dass alle Kondom-Innovationen, die es „ca. seit den 1930er Jahren“ gegeben hat, eigentlich keine sind, sondern halt nur so Trallala (also „fragwürdige Neuheiten“), wohingegen die eigentlichen, wirklichen, tollen Innovationen darin bestehen, dass Ritex seine Latex-Rezeptur verfeinert (was sicher lobenswert – die Qualität der Ritex-Kondome will ja auch gar niemand in Frage stellen -, aber natürlich „für die Kondomanwender nicht unbedingt sichtbar und direkt erlebbar“ ist).
Also, alles nur Murks:

Tja, für den Kondomanwender hat sich spürbar eigentlich nicht mehr viel getan. Sicher: Es gibt Kondome in allen Farben dieser Welt […] verschiedene Oberflächenstrukturen […] spezielle Gleitmittel, denen man die eine oder andere Wirkung nachsagt. […] quasi-individuelle Größen für die Verwender […] andere Werkstoffe wie Polyurethan oder Polyisopren […] der neuartige Stoff Graphenoxid als Werkstoff für Kondome […]

Kurz gesagt: „so wenig sichtbare Innovationen“. Bei den anderen, natürlich.

Ritex dagegen… tja. Eine Innovation jagt die andere, kürzlich wurde bei allen Verpackungen beispielsweise das Design ausgewechselt und sieht nun imho endlich auch so todlangweilig aus wie viele andere (was aber Ritex nicht daran hindert, diesen „Relaunch“ groß in Szene zu setzen), außerdem gibt es „erlebbare Innovationen für unsere Verwender […], die z. B. entweder einen echten Zusatznutzen über neue Kondomformen oder Gleitmittel bieten oder die die Anwendung für die Verwender noch angenehmer und leichter gestalten.“
Äh… Moment. War das nicht gerade als eben nicht innovativ abqualifiziert worden? So als „ein paar windige[n] Marketingtricks“? Oder (in Bezug auf verschiedene Größen) als „ulkig“? Egal:

Haltet im Herbst 2017 hinsichtlich Innovationen von Ritex einfach mal die Augen auf – ich habe da so ein Gefühl, dass da etwas kommen könnte…

Ha. Na denn. Wartet mal… gerade kam ja was auf allen Kanälen: Ritex «Delay» („mit einem speziell entwickelten Doppelring ausgestattet, der für einen angenehm festen Sitz sorgt“), meint er das?
Uh. Angenehm fester Sitz. Ring. Wie i-n-n-o-v-a-t-i-v! (Für die Nicht-Kenner: Kondome, bei denen mittels unterschiedlich angeordneter künstlicher Engstellen oder „Ringe“ versucht wird, die Durchblutung des Penis zu beeinflussen und damit die Erektionsdauer zu verlängern, gibt es schon seit gefühlten Ewigkeiten. Spontan fallen mir da ein: Billy Boy «Länger Lieben», Durex «Performax Intense» bzw. «Mutual Climax», Secura «1001 Nacht»/«Goliath», das jetzt unter dem neuen Namen «El Toro» und mit einem noch grässlicheren Design vermarktet wird, Xceptionelle «Natural Retardant» und sicher noch etliche andere.)
Ich greife abschließend mal die als Überschrift der Kolumne gesetzte Frage auf und reiche sie zurück, Herr Richter:

Kondom, Kondom – wo bleibt die Innovation?

Geht doch.

Letzte Woche hatte ich mich doch über das Ritex-„Blog“ amüsiert (falls sich wer erinnert). Ich hatte daraufhin einen netten Mailaustausch mit der Marketingabteilung, und dann war die Geschichte erst einmal abgehakt.
Aber – es geschehen noch Zeichen und Wunder – heute gabs da mal was, was der Anfang eines Blogs werden könnte, nämlich „Mein Leben mit dem Kondom“ vom Ritex-Juniorchef (ich war mal so frech, das Titelbild zu übernehmen, möge man mir dafür die Absolution erteilen vor dem Großen Urheberrecht – es stand keine Lizenz und auch kein Urheber drunter):

Zu Zeiten meines Vaters, so wurde mir berichtet, musste das Familiengewerbe noch irgendwie mit der bereits oben erwähnten Produktion von Luftballons umschrieben werden. Zu Zeiten meines Großvaters wurde darüber sogar überhaupt nicht geredet: Das waren noch die Zeiten, wo man nach einem Haarschnitt beim Herrenfriseur wortlos eine Mark mehr als gefordert auf den Tresen legte und ebenso wortlos unter dem Tresen ein Kondom gereicht bekam.

Bitte, geht doch. Noch etwas steif in der Formulierung, aber ein guter Anfang für (vielleicht?) mehr interessante Geschichten. Ich warte dann mal auf mehr 🙂

Ritex „bloggt“ jetzt. Sagen sie.

Ich mag Ritex. Ehrlich. Super Produkte, nette Menschen, deutscher Mittelstand at its best, sozusagen. Ich mag auch die Ritex-Party-Tour und was da noch alles an Kondom-Awareness-Aktivitäten läuft. Aber jetzt will man von Bielefeld aus die Blogosphäre erobern – und tritt natürlich gleich ins große Fettnäpfchen, indem man erst einmal eine Pressemitteilung raushaut und alle Aggregatoren-Portale mit Eigenwerbung und der kommerziellen Ausrichtung erschlägt. Ich zitiere mal aus der Pressemitteilung, die unverändert in -zig unwichtigen, aber die Kanäle verstopfenden „News“-Portalen erschien:

Wie bereite ich das erste Date perfekt vor? Wie ist es, in dritter Generation eine Kondomproduktion zu besitzen? Welche Neuheiten und Trends gibt es bei Kondomen oder auch bei Gleitmitteln? Frei nach Woody Allen geht Ritex nunmehr allem nach, was Sie schon immer über Kondome wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten. Das Blog-Team besteht dabei aus Ritex Mitarbeitern, die im Bereich der Endverbraucherkommunikation, dem Vertrieb und dem Marketing arbeiten. Es ist geplant, dass die Ritex-Blogger ihre eigenen Sichtweisen und Erlebnisse mit den Rückmeldungen von Endverbrauchern, Geschäftskontakten und anderen in Verbindung bringen und daraus sowohl unterhaltsame, als auch informative Beiträge schreiben. Für Themen mit speziellem Fach- oder Hintergrundwissen sind auch die Leitung des Qualitätswesens und die Geschäftsführung mit an Bord.

Yo, Leute, das ist Marketing pur, das ist kein Blogging. Bloggen ist was anderes, nicht das wöchentliche Publizieren irgendwelcher Lifestyle-Ratgeber-Artikel. Nennt es doch bitte von mir aus eine Kolumne, oder ein Online-Lifestyle-Magazin, oder Euer X-und-fuffzigstes Marketing-Tool, aber bitte, bitte nicht BLOG. Es ist nämlich keiner.
Und natürlich geht es auch nur ganz selten um Kondome. Bisher. Ich hab mal zurückgeblättert – der letzte Beitrag, der Kondome zum Inhalt hat, ist vom Februar und kaut auch nur die hinreichend bekannten (weil schon oft genug durch Facebook und Twitter genudelten) sogenannten „Fun-Facts“ ab. Die „seit April“ versprochenen „eigenen Sichtweisen und Erlebnisse mit den Rückmeldungen von Endverbrauchern, Geschäftskontakten und anderen“ beispielsweise fehlen bisher ganz.
Und wenn Ihr schon polemisch werden wollt: Nein, „gesichtslose Kleinimporteure von Kondomen“ so herablassend abzuqualifizieren, ist eigentlich nicht das, was ich bisher von Euch kenne. Fazit bis jetzt: kein Blog, sondern nur ein Schuss in den Ofen. Aber vielleicht kommt da ja noch mal was…