Schmiermittel? Brechmittel!

Wenn ich nicht schon genug graue Haare hätte, würde ich mir gerne noch welche wachsen lassen – angesichts solcher journalistischen Feinarbeit:

Traditionell wurde bei der Produktion von Kondomen die Zugabe von Casein, ein Protein aus Tiermilch verwendet, das als Schmiermittel wirkt.

Hier weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll… bei der Grammatik vielleicht?
-> richtig grammatisch korrekt wäre „von Casein, einem Protein aus Tiermilch, verwendet“
… oder bei der Semantik?
-> Entweder gibt man etwas zu, oder es wird verwendet.
… oder bei seltsamen Ausdrücken wie „Tiermilch“?
-> Im Normalfall bezeichnet man Kaseine allgemein als Milchproteine, konkret handelt es sich um Kuhmilch.
… oder bei Begriffen aus der falschen Branche, wie „Schmiermittel“?
-> Das, was man herstellerseitig auf Kondome drauf“schmiert“, nenn man Gleitmittel oder schlicht „Beschichtung“.

Egal. Absehen davon ist die Information schlicht falsch und irreführend. Viele Hersteller verwenden in der Tat noch Kaseine, aber diese werden nicht zugegeben (dann müssten sie auch deklariert werden), sondern nur – neben vielen anderen Dingen – als Hilfsstoff verwendet (sind also im fertigen Kondom höchstens noch als unausgefilterter Restbestand in mikroskopischer Menge enthalten), und Kasein dient auch nicht als Schmiermittel, sondern ist ein Hilfsstoff, um aus dem zähflüssigen Saft des Gummibaums (Latex) ein elastisches, dünnes Material (Gummi) herzustellen, aus dem man dann (unter anderem) Kondome machen kann. Oder Luftballons. Oder Handschuhe….

Kondome, bei deren Herstellung auf Kaseine verzichtet wird, gibt es auch, aber nicht viele. Aber hej, wer fragt schon nach korrekten Informationen, wenn man so unausgegorenen Quatsch zusammen mit einem Symbolfoto als Aufhänger für kistenweise Werbeanzeigen verwenden kann. Ach so, die Quelle: Yahoo! Finance, eine Hochburg des Qualitätsjournalismus.

Traditionell wird bei der Produktion von solchen Meldungen eine übergroße Portion Halbwissen eingesetzt, das bei mir als Brechmittel wirkt.

Vegane Kondome? Aber hallo…

Das war mein erster Gedanken, als ich auf der Website der australischen Firma Glyde Health las:

Because GLYDE condoms contain no animal by-products, they are suitable for vegans to use.

Veganer sind mir durchaus ein Begriff; ich glaube, wir haben sowas sogar in der Familie. Vegetarier hoch drei, sozusagen. Kein Fleisch, keine tierischen Produkte, und auch nichts, was unter Zuhilfenahme tierischer Produkte produziert oder gar mithilfe von Tierversuchen entwickelt wurde. Nun gut, das mag jeder handhaben, wie er will, solange er mir mein Schnitzel lässt. Leben und leben lassen, sozusagen.
Aber dass auch Kondome in vegane und nicht vegane unterschieden werden, war mir so nicht bewusst. Tierversuche? Fehlanzeige. Ich glaube, die letzten Tierversuche zur Entwicklung von Kondomen sind länger her, als ich alt bin, und ob es die Firmen noch gibt, ist bei der Schnelligkeit, mit der sich der Markt dreht, ohnehin eher unwahrscheinlich. Kondome sollten also, da sie ja auch aus rein pflanzlichem Material bestehen – soweit es Latex-Kondome betrifft, natürlich -, eigentlich per se vegan sein, oder nicht?
Nein.
Der deutsche Importeur dieser Kondome schreibt:

Bei diesen Prozessen – angefangen von der Verarbeitung des Rohmaterials bis hin zur Verpackung des fertigen Kondoms – werden verschiedene Hilfs- und Zusatzstoffe eingesetzt, die im fertigen Kondom natürlich nicht mehr enthalten sind und deswegen auch nicht zu deklariert werden brauchen.

Aha. Konkret geht es wohl um ein Milchprodukt (Kasein), das als Hilffstoff bei der Bearbeitung des Gummis eingesetzt wird (siehe auch hier). Bei veganen Kondomen wird stattdessen ein Distelextrakt eingesetzt:

Our unique patented formula uses thistle extract instead of the traditional condom formula using animal casein, which is derived from milk.

Das Ganze macht vegane Kondome natürlich etwas teurer als die nicht-veganen Kondome. Das sollte aber kein Hindernis für den Erwerb darstellen; schließlich sind Veganer hauptsächlich in den Einkommenschichten zu finden, die sich einen solchen Lebensstil auch leisten können.