Dass einer von Bett zu Bett springt?

„Dass einer von Bett zu Bett springt“, sei die Ursache für AIDS, sagt der CSU-Bundestagsabgeordnete Norbert Geis:

Kondome hätten eine Fehlerquote von mindestens fünf Prozent. „Das heißt, wenn ich einem empfehle, Kondome zu nehmen, dann muss er immer damit rechnen, dass er zu fünf Prozent sein Todesurteil bekommt.“

Ich weiß ja nicht, wo der Mann lebt, aber so einen geschwurbelten Schwachsinn liest man sonst nur auf der letzten Bastion der Radikalkatholiken (kreuz.net).
Lieber Norbi, ein wenig Aufklärung für Dich, gell?
– „Das einer von Bett zu Bett springt“, passiert schon, seit es Betten gibt. Und vorher, als man noch auf Stroh nächtigte, sprang man auch schon gerne zur Seite. AIDS bekommt man davon nicht.
– Die häufigste Folge eines fehlerhaft angewendeten Kondoms (fast die Gesamtheit der von Dir genannten 5% sind nämlich Anwenderfehler) ist ein Kind. Du weißt doch, wie das geht, oder? Klar, 4 Kinder… (laut Eigenwerbung auf der Website). Nun könnte man ja aufgrund Deiner Formulierung annehmen, dass Kinder für Dich so etwas wie Todesurteile sind. Nicht? „Christlich“ und „sozial“ ist das jedenfalls nicht.
– Die Ansteckung mit HIV-Viren bedeutet schon lange kein zwangsläufiges Todesurteil mehr (zumindest nicht bei uns in Deutschland. Wie es bei Dir unten in Bayern aussieht, weiß ich natürlich nicht.). AIDS entwickelt sich hierzulande eher zu einem medikamentös recht gut beherrschbaren Langzeitzustand.
– Nur eine verschwindend geringe Zahl an AIDS-Infektionen ist auf fehlerhafte oder falsch angewendete Kondome zurückzuführen. Die übergroße Mehrheit der Ansteckungen passiert, weil gar kein Kondom benutzt wird.

Und was sagt uns das? Politiker ist einer der sehr, sehr wenigen Berufe, für die man keine Ausbildung braucht (angeblich auch keine Bildung, aber man soll ja nicht alles glauben). Und trotzdem kann man über alles schwätzen und findet auch noch Leute, die es publizieren.

Das Kondom der unbegrenzten Möglichkeiten

Poster AIDS Präventionstage ©Amt für Gesundheit FrankfurtSo heißt eine „Szenen-Collage“, die das Schultheater-Studio Frankfurt anlässlich der Präventionstage am 15. und 16. September im Nordwestzentrum (Aktionsbühne) am 15.9. um 10 und 12 Uhr aufführt.

Um jugendgerechte, lebensnahe Ansätze der AIDS-Prävention geht es am 15. und 16. September ab 10 Uhr bei den 6. AIDS-Präventionstagen auf der Aktionsbühne im Nordwestzentrum in Frankfurt. Das Amt für Gesundheit hat alle siebten und zehnten Klassen der Frankfurter Schulen eingeladen. Das Angebot richtet sich aber an jedermann.
Bei der Veranstaltung des Amtes für Gesundheit, der AIDS-Hilfe Frankfurt und der AIDS-Aufklärung geht es darum, sich dem Thema nicht akademisch, sondern eher spielerisch zu nähern. (Quelle: Frankfurt Live)

Obwohl ich grundsätzlich die Idee begrüße und auch Sprachspielereien nicht abgeneigt bin, scheint mir doch der Verzicht auf jedwede sinnvoll anzuwendende grammatische oder semantische Verknüpfung in diesem Fall einfach zu weit hergeholt – vor allem, wenn man eigentlich das meint, was man erhält, wenn man die beiden Teile dieses Titels andersherum aneinander reiht, nämlich „Die unbegrenzten Möglichkeiten des Kondoms“.
Leider bin ich nächste Woche nicht in Frankfurt, um es mir anzusehen, hoffe aber trotzdem, dass es gut wird.
Eine Sprachspielerei, die mir wesentlich gelungener erscheint, ist der Titel einer Autorenlesung: „Endlich mal was Positives – Mein Umgang mit HIV“ (Lesung von Matthias Gerschwitz in der Zentralen Stadtbücherei).
Das komplette Programm der AIDS-Präventionstage findet sich beim Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt.

Immer mehr Jugendliche und Erwachsene schützen sich mit dem Kondom

Diese Pressemiteilung anlässlich des Deutsch-Österreichischen Aids-Kongresses (15.-18. Juni 2011, Hannover) spricht für sich:

Seit Beginn der Aidsaufklärung in Deutschland führt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) jedes Jahr die Repräsentativerhebung „Aids im öffentlichen Bewusstsein“ durch. Die Studie erhebt Daten zu Wissen, Einstellungen und Schutzverhalten der Menschen in Deutschland und erfasst, ob die Botschaften der BZgA-Kampagne GIB AIDS KEINE CHANCE in der Bevölkerung ankommen. Im Vorfeld des Deutsch-Österreichischen Aids-Kongresses (DÖAK), der vom 15. bis 18. Juni 2011 in Hannover stattfindet, veröffentlicht die BZgA die neuesten Ergebnisse.

Danach hat sich die Nutzung von Kondomen immer stärker in der Bevölkerung etabliert. Inzwischen schützen sich 87 Prozent der 16- bis 44-Jährigen zu Beginn neuer Partnerschaften mit einem Kondom. Mitte der 90er Jahre waren es noch 65 Prozent. Auch die Kondomnutzung bei Befragten mit sexuellen Risikokontakten ist weiter gestiegen. 86 Prozent der 16- bis 65-Jährigen mit mehreren Sexualpartnerinnen oder -partnern im vergangenen Jahr geben an, Kondome zu verwenden – ein neuer Höchststand. Dass Aidsprävention wirkt, zeigt sich auch an der deutlich rückläufigen Zahl derer in dieser Gruppe, die keine Kondome benutzen. Ende der 80er Jahre gab dies knapp die Hälfte (46 Prozent) der 16- bis 65-Jährigen mit wechselnden Sexualpartnerinnen oder -partnern an, heute sind es noch 14 Prozent.

„Unsere Studie zeigt, dass es in Deutschland keine wachsende Nachlässigkeit beim Schutz vor HIV/Aids gibt. Immer mehr Jugendliche und Erwachsene schützen sich mit dem Kondom“, erklärt Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. „Auch 30 Jahre nachdem das Krankheitsbild Aids erstmals beschrieben wurde, ist Prävention das Mittel der Wahl, um einer weiteren Ausbreitung der HIV/Aids-Epidemie vorzubeugen. Um in der Aidsprävention auch zukünftig erfolgreich zu sein, entwickeln wir unsere Kampagne stets weiter. Wie wissenschaftliche Erkenntnisse der letzten Jahre zeigen, können sexuell übertragbare Infektionen wie Syphilis oder Tripper das Risiko für eine Ansteckung mit HIV erhöhen. Deshalb spielt dieses Thema auch in unserer Kampagnenarbeit eine immer größere Rolle.“

Na also: es geht doch. (Quelle: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung)

Vatikan-Tagung zu Aids: „Das Kondom schützt nicht“

Ohne Kommentar:

„Unter vatikanischer Spitzenbeteiligung“ lief Ende Mai ein „Kongress über HIV/Aids im Vatikan. Einer der prominentesten Teilnehmer ist der Medizin-Soziologe und Senior Harvard Forscher im Bereich Aids-Verhütung, Edward Green. Im Gespräch (…) wies der Fachmann erneut die verbreitete Ansicht zurück, Kondome schützten zuverlässig vor Aids.“

„Kondome werden typischerweise verwendet mit Gelegenheitspartnern oder bei Prostitution. Wenn die Kondomnutzung steigt, könnte das auf einen Zuwachs bei kommerziellem Sex hindeuten. Wir wissen heute, dass das häufige Wechseln von Sexualpartnern die Aids-Massenepidemie wie in Süd- und Ostafrika begünstigt. Die wichtigste Einzelmaßnahme gegen Aids ist also, vor dem Kontakt mit häufig wechselnden Partnern zu warnen.“ (Quelle: Radio Vatikan)

Fällt Euch was auf? Dr. Green hat nirgendwo behauptet, dass Kondome nicht schützen, wie der Titel der Meldung suggeriert. Er hat eigentlich nur darauf hingewiesen, dass Wissen, also Bildung, grundsätzlich eine bessere – weil längerfristig wirkende – Schutzfunktion hat, und dass Kondome nicht DIE alleinseligmachende Lösung des AIDS-Problems darstellen, wie manche glauben machen wollen. Aber so differenziert mag man sich in einem autoritätsbasierten System wie der katholischen Kirche natürlich damit nicht auseinandersetzen. Dr. Green vertritt seine Einstellung übrigens schon seit über zwei Jahren – neu ist das also auch nicht. Und ob es dem in der Tat renommierten Wissenschaftler gefällt, mit so einer Überschrift ausgerechnet durch den Vatikan instrumentalisiert zu werden, sei dahingestellt. So zitiert auch USA Today die Äußerungen von Dr. Green ganz anders:

Empirical evidence is increasingly showing that condoms aren’t the solution, at least in Africa where heterosexual sex among multiple partners in regular, concurrent relationships is largely to blame for HIV’s spread. It’s a different scenario than in Thailand, for example, where high-risk sex workers have driven the spread of the virus.
„I’m not anti-condom,“ Green said in an interview ahead of his speech Saturday to the conference. „They should be accessible, affordable, free. Just don’t bet the house and farm on it.“
What works in Africa, Green says, is male circumcision and reducing the number of sexual partners — in other words, changing the sexual behavior that fuels HIV’s spread.