Schwindende Schwänze, oder: Quellen? Wozu Quellen?

Das beste Stück des Mannes wird immer kleiner. Laut einer britischen Studie verlor der Durchschnitts-Penis 2,45 Zentimeter in zehn Jahren.

marktschreierte diese Woche das Schweizer Onlinekäseblatt „Blick“ unter dem Titel „Schnäbi-Schwund: Penisse werden immer kürzer“. Nun ist das mit solchen Behauptungen ja immer so eine Sache, und ich bin immer neugierig, wie das Datenmaterial dazu aussieht. Natürlich wird in dem Artikel nicht eine einzige Quelle korrekt benannt oder (Gott verhüte!) verlinkt, sondern es wird nur auf „die Studie eines britischen Kondom-Vertriebs“ verwiesen; dann wird eine „andere Studie“ erwähnt und (was einem Quellenverweis wohl am nächsten kommt) erzählt, was die „Genfer Sexualwissenschaftlerin Juliette Buffat zur Zeitung «Le Matin»“ gesagt haben soll.
Nun ja, schauen wir mal. Letzteres lässt sich mit ein wenig Französischkenntnissen und den passenden Suchbegriffen am leichtesten finden, und zwar im Schweizer „Le Matin“ (nicht mit der bekannten französischen Zeitung gleichen Namens zu verwechseln) unter dem Titel Des zizis de plus en plus riquiqui, der zwar im Titel von einer „britischen Studie“ (une étude britannique) spricht, aber zumindest erwähnt, wo die Daten herkommen: von TheyFit, einem Hersteller von Kondomen in 95 Größen, der nun natürlich auch keine Studie angefertigt hat, sondern lediglich die bestellten Kondomgrößen geographisch/statistisch auswgewertet hat. Demzufolge spricht man dort auch nur von einer „survey“, und die kann man sich dort auch gleich herunterladen. Diese Auswertung ergibt also:

An anonymous sample of over 20,000 men shows that the UK ‘normal’ is not 6 inches – it is nearly a whole inch less! And whilst length is commonly the ‘measure of a man’, girth should not be overlooked as the survey reveals a staggering 4 inches difference when it comes to the circumference of the smallest and largest.
• Stoke on Trent is where the men with the largest penises hang out
• Northerners wear the Willy Crown! Southerners not necessarily soft just smaller
• Average length is 5.1”, average circumference is 4.7”
• London males do not feature in the UK’s Top Ten!

Einen Beleg darüber, dass es früher anders war, findet sich dort natürlich nicht; das hindert natürlich weder Le Matin noch Blick.ch daran zu postulieren, dass unsere Penisse alle in erschreckendem Tempo kleiner werden – auch wenn es sicher viel naheliegender wäre, zu überlegen, wo den die Ausgangszahl von 15.4 cm durchschnittlicher Länge herkommt, die männliche Penisse noch vor 10 Jahren gehabt haben sollen. Es gab zwar vor 12 Jahren mal ein Event des Kondomherstellers LifeStyles, bei dem in einem Zelt in Cancun (Mexiko) 300 erigierte Penisse vermessen wurden, und das seither als „Largest Penis Size Survey“ durch diverse Rekordbücher schleicht, aber selbst da betrug die mittlere Länge „nur noch“ 14,92 cm. Eine echte Studie findet man unter dem Titel „Rushton’s r–K life history theory of race differences in penis length and circumference examined in 113 populations“ in der wissenschaftlichen Zeitschrift Personality and Individual Differences (Volume 55, Issue 3, Pages 199-342) von diesem Jahr, aus der offenbar auch die Längenvergleichsgrafik im „Le Matin“ zusammengesetzt wurde, die aber für Großbritannien nur 13,97 cm angibt.
Was für ein Durcheinander. Aber Hauptsache, man kann einen reißerischen Artikel schreiben, bei dem schon die Überschrift ausreicht, einem Albträume von verschwindenden Penissen zu bescheren. Bei News.de ist schon eine „weltweite Studie“ mit „erschütternden Zahlen“ draus geworden:

In einer weltweiten Studie haben 20.000 Männer die Länge ihres besten Stücks verglichen. Demnach ist der Penis im letzten Jahrzehnt um 2,45 Zentimeter geschrumpft.

Ist nun die Penisgröße tatsächlich kleiner geworden? Eher nicht. Das Einzige, was die Zahlen von TheyFit aussagen, ist, dass Männer mit kleineren Penissen nun endlich passende Kondome kaufen können und dies auch weidlich ausnutzen.

Risiko Gratiskondome

Gut gemeint ist nicht immer auch gut gemacht – wie man beispielsweise derzeit in Vietnam beobachten kann. Dort gibt es (wie in vielen anderen Ländern auch) hier und da Kondome für umsonst. Dort heißen sie „Happy“, machen aber viele Nutzer eher unglücklich, denn es handelt sich (wen wundert’s) um Kondome, die auf westeuropäische Standards zugeschnitten sind. Folglich empfinden viele Vietnamesen diese als zu groß, zu dick und zu trocken:

Dang Thi Thuy Huong, co-coordinator of the Institute for Social Development Studies, told Lao Dong that some users in northern cities and provinces like Hanoi, Vinh Phuc, and Hai Duong have complained that Happy condoms are inadequately lubricated, thick, and too big.
A volunteer for a local organization in HIV prevention named “Cung Tien” (Go Ahead Together) said that some people have refused to take the condoms, some took them but threw them away, and some have even scolded the volunteers when they offer the condoms.

So zu lesen im vietnamesischen News-Gateway Tuoitrenews. Das Bemerkenswerte daran ist nicht die durchscheinende typische Arroganz des Westens („was für uns gut ist, muss auch den anderen passen, obs passt oder nicht“), sondern die Tatsache, dass Vietnam mittlerweile eigentlich schon lange nicht mehr auf Kondomspenden aus dem Westen angewiesen ist, weil es zu den größten Kondomproduzenten der Welt gehört. Vielleicht wäre es sinnvoller, wenn die staatlichen Stellen, die für die Beschaffung dieser Gummis zuständig sind, zuerst mal im eigenen Lande nach guter Ware schauen würden – es gibt sie nämlich.

Professor Bui Duc Duong, director of The Global Fund in Vietnam, under the management of the Ministry of Health, told Lao Dong that they have yet to receive any comments about the quality of Happy condoms from local users.
However, he added, in case they receive negative feedback from users, they cannot return the condoms to the providers or replace them with another kind of condom.

Damit Ihr mal einen Überblick über die Mengen bekommt:

Malaysia natural rubber output may fall 4.6 percent to 950,000 metric tons this year, the Association of Natural Rubber Producing Countries said in a Nov. 9 report. That’s less than a third of top producers Thailand and Indonesia.
Vietnam could also overtake Malaysia this year to become the world’s third-largest grower, with production expected to surge 18 percent to 955,000 tons, the association said. India is not far behind with output forecast to rise 3.1 percent to 920,000 tons in 2012, it said.

Quelle: Bloomberg. Da gehts nicht nur um Kondome, sondern um Gummi im Allgemeinen, aber immerhin… ganz schön heftig.

Warum mag Karl Lagerfeld keine Kondome?

„Karl Says No To Condoms“ titelte vorgestern die Vogue und berichtete, dass…

there are certain products that he’d draw the line at. „Toilet paper? Support stockings? Condoms?“ he said.

Nun mag man darüber spekulieren, warum er was gegen Klopapier hat oder gegen Stützstrümpfe (der Jüngste ist er ja auch nicht mehr), aber Kondome? Lagerfeld-Kondome könnte ich mir durchaus vorstellen – schwarz, gut abgehangen und nach der Mode von gestern.

(Wier Ihr merkt, bin ich wieder da. Mal sehen, wie lange ich diesmal durchhalte…)

Hoax reloaded: Haargummis aus benutzten Kondomen

Vor fünf Jahren ging mal eine Meldung durch die Presse, in der die Nachrichtenagentur AFP unter berufung auf China Daily behauptete: „Used condoms are being recycled into hair bands in southern China“.
Aus irgendeinem Grund wird das jetzt wieder aufgewärmt – und zwar ausgerechnet vom Portal „Weltliche Apokalypse„, das sich selbst als „News-Aggregator für die säkularen Staaten. Atheismus, Antiklerikalismus, Wissenschaft, Evolution, Homophobie, Menschenrechte, Mysterien, okkulte Kräfte“ versteht:

Begann sich zu bewegen, vor allem auf Facebook (z. B. hier e hier), Hergestellt Die „news“, die in China Haarbänder verkauft werden mit gebrauchten Kondomen. Eine Bestätigung wird zitiert einen werden bbc Artikel vom 2007.
Wäre genug, aber 30 Sekunden von Google, um herauszufinden, was die Geschichte ein Scherz ist: reden seit Jahren Snopes.com, UrbanLegends e Hoax-Slayer.
Ja, das waren einige Haarbänder in China hergestellt mit Kondomen gemacht. Aber diese Kondome verworfen, Nicht benutzt. Ausrangierte während der Verarbeitung, nachdem nicht nach dem von den Käufern genutzt.

Von der schlechten Übersetzung einmal abgesehen, hat der Autor natürlich Recht: „Wenn statt der chinesischen gab es eine sehr italienischen Fabrik in Bassano del Grappa, wäre die Geschichte nicht so emotional glaubwürdig gewesen.“ Ein Verkaufshit dürfen diese Haarbänder nach dieser Geschichte allerdings nicht mehr gewesen sein…