Deutsche Kondome

„Deutsch“ ist ein Adjektiv, das seit längerem und in inflationärem Maßstab an alles und jedes angehängt wird. Dabei bezieht es sich ursprünglich lediglich auf Menschen und bezeichnet deren Zugehörigkeit zu einer sich über eine gemeinsame Sprache und Kultur definierenden Gruppe.
Heute können sogar Kondome deutsch sein. Angeblich. So deutsch jedenfalls, dass man sich vor Gericht darüber streiten muss, weil dem einen die Kondome nicht deutsch genug sind, während sie dem anderen zufolge ausreichend deutsch sind, um deutsch genannt zu werden. Ein seltsames Land, dieses Deutschland.
„Made in Germany“ war ursprünglich eine zweifelhafte Zwangsauszeichnung, mit der sich die Briten vor minderwertiger Importware aus Deutschland schützen wollten – heute kloppt man sich vor Gericht darum, diese Bezeichnung verwenden zu dürfen.
Latexkondome bestehen aus einem Material (Latex, vulgo: Gummi), das aus Latexmilch hergestellt wird, die von einer Pflanze stammt, die in Deutschland weder natürlich vorkommt noch angebaut werden kann, nämlich der Latexpalme (auch als Gummibaum bekannt, wenngleich nicht mit dem bürgerlichen Amtsstubengummibaum zu verwechseln, aus dem man keine Kondome machen kann). Das gesamte Rohmaterial (mit Ausnahme, vielleicht, einiger Prozesschemikalien, aber das erfährt man ohnehin nicht) kann also schon mal nicht „deutsch“ sein. Sehr viele Produzenten nutzen allerdings Technik deutscher Firmen bei der Produktion von Kondomen – auch das macht die Kondome allerding keinen Deut deutscher als sie ohnehin nicht sind. Hm.
Wenn man den Ausführungen des Gerichts nun folgt, dann ist der wesentliche Produktionsschritt, der die Deutschheit eines Kondoms definiert, die Herstellung des Rohlings, die in einer auf deutschem Boden befindlichen Produktionsstätte erfolgen muss. Kommen die Rohlinge nämlich aus dem Ausland, darf das Kondom nicht mehr deutsch sein. Nun ja. Im Ganzen spricht das für eine ziemlich nach Bilderbuchwissen geformt Entscheidung, denn das Tauchen eines Glaskolbens in aufbereitete Latexmilchlösung lässt zum ersten Mal das Endprodukt „Kondom“ erahnen, also muss genau das der wesentliche Produktionsschritt sein, der in Deutschland zu erfolgen hat, damit die Endprodukte dann ausreichend deutsch sind – unabhängig davon, dass dies nur einer von vielen Produktionsschritten ist.

Was also macht Kondome deutsch? Es ist also weder das Material noch die Technik, auch nicht die Technologie bzw. das Produktionsverfahren, es ist nicht die Nationalität der produzierenden Angestellten, es ist auch nicht die Eigentümerschaft der Hersteller (dann wären Beiersdorf-Kondome ja deutsch, Billy Boy französisch und Durex amerikanisch), nein, all das ist unwesentlich. Die Tauchstation muss in Deutschland stehen.

Das Ganze ist irgendwie genau so skurril wie ein Streit von T-Shirt-Produzenten darüber, ob das Einnähen eines in Polen gedruckten Schildchens mit Waschhinweisen in das in China genähte, aus ägyptischer Baumwolle in Indien vorverarbeitete und über die französische Tochter eines amerikanischen Konzerns importierte und dann in einem vietnamesischen Laden im Türkenviertel an australische Touristen verkaufte T-Shirt selbiges zu einem deutschen Produkt macht, wenn es in Deutschland stattfindet…

Ich persönlich bevorzuge ja Kondome, die dort hergestellt werden, wo das Rohmaterial herkommt (wenn es geht, auch gerne nachhaltig produziert und fair gehandelt), denn die qualitätsentscheidende Komponente ist das Rohmaterial und seine Verarbeitung, nicht der Standort der Tauchstraße. Und das gilt eigentlich für eine ganze Menge Dinge, nicht nur für Kondome.

Also: macht nur weiter. Nächste Station: Bundesgerichtshof. Popcorn!

Hydrogel statt Latex?

bill-gates-condom2Materialien für Kondome gibt es ja nun nicht viele – neben dem allgegenwärtigen Latex haben wir noch Polyisopren, Polyurethan, AT-10 und – ja, was? Eigentlich nichts mehr, wenn man von Kondomen aus Lammdarm, die es tatsächlich noch gibt, mal absieht. Es wird also wirklich Zeit, mal was Neues zu probieren.
Dr. Sina Naficy und Dr. Robert Gorkin von der Universität von Wollongong (nie gehört, gibts aber wirklich, ist hier) haben sich deswegen zusammen mit ihrem Team mit sogenannten Hydrogelen beschäftigt (die bestehen eigentlich nur aus Wasser, das durch ein paar Polymerketten zusammen und elastisch gehalten wird) und diese für die Anwendung als Kondom optimiert; dafür gab es auch, verdienterweise, einen Zuschuss von Bill Gates 🙂
Den aktuellen Status der Entwicklung dieses überaus interessanten Materials findet man in einem jetzt auf YouTube veröffentlichten Bericht. Meines Erachtens könnte das was werden… ich bin gespannt.

Kondome aus dem Regenwald… Extra feucht, oder was?

Natex KondomeNein. Nicht extra feucht. Aber gut. Zumindest für den Regenwald – wie es mit der Qualität für den Anwender aussieht, kann ich nicht sagen, da die Kondome momentan nur in Brasilien erhältlich sind (und wenn man den Gerüchten glauben darf, nicht einmal gegen Geld, sondern nur gratis). Interessant ist zumindest, dass Natex-Kondome nicht, wie sonst allgemein üblich, aus aus Plantagenanbau gewonnener Latexmilch hergestellt werden, sondern dass ausschließlich Latexmilch aus wild wachsenden Gummibäumen verwendet wird; nach eigener Aussage ist dieses Latex besonders reißfest und soll statt der von der Norm geforderten 18 Liter bis zu 40 Liter Berstvolumen aufweisen. Also, Leute: Falls mal jemand in den „Wilden Westen“ Brasilien kommt und bis nach Xapuri vordringt: bringt mir bitte mal eine Handvoll Regenwaldkondome mit!

Kondomwerbung fördert Kondomnutzung … nicht.

Eigentlich sollten wir es schon seit Jahren wissen… aber solche Erkenntnisse gehören nun mal zu denen, die weniger gerne erwähnt werden, denn in der Werbung gibt es – auch und gerade für Kondome – immer noch genug zu verdienen. Quick & Stephenson haben in einem Aufsatz für Communication Research jedoch bereits 2007 belegt, dass Werbung für die Benutzung von Kondomen deutliche Reaktanz hervorruft – d.h. viele der druch die Werbung explizit angesprochenen Personen verwenden Kondome „nun gerade“ nicht.

The authors tested the conceptual coherence of this construct by examining its association with threat-to-choice perceptions and ad persuasiveness of condom ads. Across seven condom television ads, the authors found evidence in support of treating reactance as a latent variable comprised of negative cognitions and state anger.

Quick, Brian L. & Stephenson, Michael T. (2007). Further Evidence That Psychological Reactance Can be Modeled as a Combination of Anger and Negative Cognitions. Communication Research 34(3): 255-276. (Mit Dank an ScienceFiles, durch deren Artikel über Reaktanz ich mich wieder daran erinnerte, damals diesen Aufsatz gelesen zu haben. Leider habe ich ihn nicht mehr… falls mir also jemand was Gutes tun will, könnte er mir das als PDF schicken. Danke!)